Ab drei Sorten kann’s verzwickt werden

By: | Tags: | Comments: 0 | November 2nd, 2023

Polypharmazie: So behalten Patienten den Durchblick im Medikamenten-Chaos

Ein Medikament gegen Bluthochdruck, dazu ein Cholesterinsenker, gelegentlich ein Schmerzmittel gegen die Rückenbeschwerden und abends das pflanzliche Einschlafmittel. Bei so vielen Medikamenten sprechen Experten von Polypharmazie. Und die kann gefährlich werden. Nimmt ein Patient dauerhaft mehrere Medikamente gleichzeitig, kann er nicht nur den Überblick verlieren. Zusätzlich lauern auch einige Gefahren.

„Wer Kopfschmerzen und verschiedene Behandler – zum Beispiel den Neurologen, den Hausarzt, den Orthopäden – hat und vielleicht noch Rat von Freunden oder Nachbarn bekommt, bei dem kann schon eine Kombination von vielen Wirkstoffen auftreten“, erläutert Hannah Haumann vom Institut für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung am Universitätsklinikum
Tübingen. Das könne auch jüngere Patienten betreffen. Doch vor allem ältere Menschen, bei denen zum Beispiel Diabetes, Bluthochdruck oder Herzkrankheiten häufiger vorkommen, müssen über den Tag oft etliche Tabletten schlucken.

Da beginnen die Probleme bereits bei der Einnahme – wenn man den Überblick behalten und alles zur richtigen Zeit in der richtigen Dosis einnehmen muss. Mit zunehmendem Alter kann das immer schwieriger werden. „Einige meiner Patienten sehen nicht mehr so gut“, sagt Hans-Michael Mühlenfeld, Vorsitzender des Bremer Hausärzteverbandes. „Da ist es nicht leicht, die ganzen Beipackzettel auseinanderzuhalten.“ Tablettenboxen können in solchen Fällen hilfreich sein. Gesetzlich Versicherte, die mindestens drei verordnete Arzneimittel dauerhaft einnehmen, haben außerdem Anspruch auf einen Medikationsplan. Darauf weist Annekathrin Schrödl hin. Sie ist Apothekerin bei der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD). Das standardisierte Formular dient dem Patienten als verständlicher Einnahmeplan.

Insbesondere bei Polypharmazie besteht der Expertin zufolge das Risiko, dass ein Medikament neben der gewünschten eine unerwünschte Wirkung hat: zum Beispiel, weil es auf ein anderes Medikament reagiert. Wechselwirkungen nennen Experten dies. „Besonders aufpassen muss man zum Beispiel bei Medikamenten, die die Blutgerinnung des Körpers beeinflussen“, erklärt Mühlenfeld. Auch das Risiko von Nebenwirkungen steigt, je kränker ein Patient ist und je mehr Medikamente er einnimmt: So spielt die Nierenfunktion für Nebenwirkungen eine besondere
Rolle und lässt im Alter ohnehin nach. Die Folge: Medikamente werden anders im Körper abgebaut. Weitere Gefahren sind Schwindel und ein höheres Sturzrisiko.

„Spätestens ab dem dritten, vierten Medikament weiß kein Professor für Pharmakologie mehr, was in einem Menschen passiert“, macht Mühlenfeld deutlich. Er sieht eine wichtige Aufgabe der
Hausärzte darin, von Polypharmazie betroffene Menschen zu „demedikamentisieren“. Gewichtet wird gemeinsam mit dem Patienten: „Es gibt Medikamente, mit denen ich Symptome wie Schlafstörungen, Luftnot oder Wasser in der Lunge behandle“, erklärt Mühlenfeld. „Andere nehme ich zur Prophylaxe – etwa gegen Verkalkung.“ Je nach Lebensalter und Stärke der Beschwerden
können manche Medikamente unter Umständen weggelassen werden. Dabei wird die Einnahme aber nicht um jeden Preis reduziert.

„Wenn die Therapie gut begründet, auf Belege gestützt und für den Patienten notwendig ist, gibt es Situationen, in denen sich Polypharmazie nicht vermeiden lässt“, betont Haumann. Schon gar
nicht sollten Patienten eigenmächtig bestimmte Medikamente absetzen.

dpa